Ist das autonome Auto wirklich ein Beitrag zum unfallfreien Fahren?

Prof. i.R. Dr. rer. nat. Heiner Bubb

Die Unfallstatistik weist zwar über die Jahre hinweg eine stetige Abnahme der bei Straßenverkehrsunfällen Getöteten aus, die Zahl der Unfälle ist aber in dem gleichen Zeitraum auf etwa gleichem Niveau geblieben. Die einzige Möglichkeit, den Traum vom unfallfreien Fahren zu verwirklichen, ist scheinbar, den fehlerbehafteten Fahrer durch die prinzipiell zuverlässigere Automatik zu ersetzen. Doch ist das wirklich realistisch?

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Tatsächlich ist das Wahrnehmungsfeld des Fahrers gegenüber den Sensoren, die rund um das Fahrzeug installiert sind, deutlich eingeschränkter. Dazu kommt das immer wieder vorgetragene Argument: „Ein Computer bzw. der dazugehörige Algorithmus wird nicht müde, schläft nicht, ist keinen temporären Emotionen unterworfen, trinkt keinen Alkohol und nimmt keine Drogen.“ Um Deutschland eine Vorreiterrolle in zukunftsweisender Technik zu ermöglichen, sieht der Gesetzesentwurf des Verkehrsministeriums zum automatisierten Fahren vom Sommer 2016, modifiziert am 25. Januar 2017 die prinzipielle Möglichkeit autonomen Fahrens auf bestimmten Strecken vor, allerdings eingeschränkt durch die Forderung: „Der Fahrer soll sich während der Fahrt abwenden dürfen, jedoch jederzeit wahrnehmungsbereit bleiben“. Diese Einschränkung ist eine Forderung an ergonomische Lösungen. Viele Untersuchungen zeigen beispielsweise, dass dem Fahrer eine Zeit von 6-8 Sekunden – teilweise sogar 12-15 Sekunden - zur Verfügung gestellt werden muss, damit er die Fahraufgabe wieder sicher übernehmen kann.. Weiterhin sind die heute vorgeschlagenen Varianten eines autonomen Fahrzeugs wie selbstverständlich alle so ausgelegt, dass der Fahrer die Automatik ein- und ausschalten kann und zudem das Fahrzeug selbst die Automatik ausschaltet, wenn die Bedingungen für autonomes Fahren nicht mehr gegeben sind. Wenn man zudem noch ergonomische Untersuchungen berücksichtigt, dass der Fahrer in vielen Fällen das Wiedereinschalten vergisst bzw. unterlässt, bedeutet all dies aber, dass die Unfallwahrscheinlichkeit insgesamt auf dem heutigen durch die Aktionen des Fahrers bedingten Niveau bleibt. Nur dann, wenn die Automatik und der Fahrer ständig simultan die gleiche Aufgabe bewältigen, würde eine signifikante Erniedrigung der Unfallwahrscheinlichkeit realisiert werden. Dies wäre möglich, wenn durch die Automatik ein Korridor geschaffen wird, innerhalb dessen der Fahrer in gleicher Weise, wie es konventionell der Fall ist, ständig die Fahraufgabe erledigt. Gerät er an die Ränder dieses Korridors so wird er durch ein entsprechendes Moment am Lenkrad bzw. durch eine Gegenkraft am Gaspedal zur Korrektur aufgefordert, wobei er jederzeit diesen Hinweis übersteuern kann, wenn er aufgrund der Verkehrssituation der Ansicht ist, dass die vorgeschlagene Korrektur inadäquat ist. Eine derartige Aufforderung wird aber von den meisten Fahrern als bevormundend empfunden.

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Ergonomische Untersuchungen zeigen, dass man Einsicht in diese Aufforderung erreichen kann, wenn man den Weg, den das Fahrzeug innerhalb der nächsten 1,5 - 2 Sekunden einnehmen wird, im sog. kontaktanalogen Head-Up-Display (kHUD, teilweise auch als Augmented Reality HUD – AR-HUD bezeichnet) anzeigen würde und somit die Aktionen der Automatik unmittelbar verständlich machen würde. Eine signifikante Verbesserung der Freiheit von Unfällen kann man für das individuelle Fahrzeug jedoch nur erreichen, wenn diese Funktion immer im Betrieb ist und in ähnlicher Weise wie es heute bei ABS und ESP der Fall ist, nicht (längerfristig) abgeschaltet werden kann. Im Hinblick auf die gewünschte Reduktion der Verkehrsunfälle ist allerdings zu bedenken, dass die Lebensdauer eines Fahrzeugs ca. 16-18 Jahre beträgt. Wenn man vom heutigen Zeitpunkt an nur noch Fahrzeuge zulassen würde, die über eine derartige Technologie verfügen, könnte man somit erst nach ca. 30 Jahren das anvisierte Ziel des unfallfreien Fahrens als erreicht erwarten. Mit der heute verfügbaren Technologie ist das Erreichen dieses Ziels unrealistisch.