Ergonomie und Design
Auszug aus dem Vortrag von Prof. Dr. Dipl.-Ing. Jürgen Held
"Das kann doch nicht wahr sein!" Verzweifelte Ausrufe dieser Art begleiten häufig den
Versuch, neue Geräte zu bedienen und zu benutzen. Fallbeispiele aus den Bereichen der
Medizintechnik, Krankenhausplanung und Verkehrsüberwachung zeigen exemplarisch Probleme
der ergonomischen Gestaltung auf. Wie solche Fehler, die fatale Folgen nach sich ziehen
können, bei der Projektplanung und Produktgestaltung entstehen, soll Hinweise auf
Möglichkeiten der Verhinderung derartiger Versäumnisse aufzeigen. Ergonomie und Design in
Gestaltungsprojekte integriert, setzt Synergien frei und führt zu besseren Lösungen.
Fallbeispiel: Herz-Lungen-Maschine
Abbildung 1: Herz-Lungen-Maschine
(Zum Vergrößern auf das Bild klicken)
Probleme
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Ungenügende Führungshilfen, z.B. fehlende und mangelhaft gestaltete Beschriftungen.
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Unzureichende Sicherheitseinrichtungen in Bezug auf das Anschließen der
Schlauchleitungen. Fehler mit Todesfolgen führten erst in den letzten Jahren zum Einsatz
von Sicherheitsventilen.
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Überforderung des Benutzers durch Kompliziertheit und Gefährdungspotential.
Fehler im Prozess der Produktgestaltung
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Rückmeldungen/Verbesserungsvorschläge der Benutzer wurden trotz technischer Einfachheit
von den Herstellern nicht umgesetzt.
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Anordnungs-Kompatibilität oder der Bezug zur Prozessübersicht sind in der Gestaltung
des Interfaces nicht berücksichtigt worden.
Fallbeispiel: Operationsroboter
Abbildung 2: Operationsroboter
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Probleme
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Verwechslungsgefahr in der Fuß-Bedienung. Es müssen mit dem rechten Fuß zwei Pedale
(links/rechts) bedient werden, die darüber entscheiden, wie stark die Schneide- oder
die Koagulations-Wirkung von zwei Instrumenten ist. Da Schneide- und
Koagulations-Instrumente während einer Operation die Positionen ändern, besteht
Verwechslungsgefahr mit sehr hoher Verletzungsgefahr des Patienten.
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Durch Sehaufgabe und Manipulationsachse entstehen ungünstige Körperhaltungen.
Fehler im Prozess der Produktgestaltung
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Arbeitsabläufe, wie das Vertauschen der Schneide- und Koagulationsinstrumente, waren
offenbar nicht bekannt oder wurden nicht vorausgesehen.
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Normative Vorgaben tolerieren ein hohes Fehlerpotential auf Anwenderseite.
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Das im System eingesetzte stereoskopische Projektionsverfahren besitzt Einschränkungen
für den Sehprozess, die noch wenig untersucht worden sind.
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Eine ergonomische Gestaltung umfasst auch Dokumentation und Schulung/Training sowie die
damit verbundenen Unternehmensprozesse und Mitarbeiter-Qualifikationen, die bei
Schadensregulierungen auch Gegenstand eines Gerichtsverfahrens werden können.
Fallbeispiel: Flugsicherung - Neugestaltung Kontrollraum
Probleme
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Die Deckenbeleuchtung führte zu starken Reflexen und zu starkem Kontrastverlust auf
den Radarbildschirmen. Die tageslichtähnlich geplante Beleuchtung musste daher reduziert
und Leuchten an den Arbeitsplätzen nachgerüstet werden.
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Die neu entwickelten Arbeitskonsolen weisen aufgrund einer Tischschublade eine Behinderung
des Beinfreiraumes auf. Die Mitarbeitenden äußerten von sich aus den Vorschlag, unter
der Konsole den Fußboden abzusenken, um Platz für eine Sitzposition zu gewinnen.
Fehler im Prozess der Produktgestaltung
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Konventionelle Planungsgemeinschaften können durch große, fensterlose Arbeitsräume
überfordert sein.
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Dokumentiertes Ergonomiewissen (Control Rooms DIN EN ISO 11064) blieb unberücksichtigt.
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Arbeitsplatz-Erfahrungen anderer Flugsicherungen wurden in der Neuplanung nicht erhoben.
Fallbeispiel: Steuerung des Bahnverkehrs
Probleme
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Im neu programmierten Betriebssystem eines europäischen Bahnunternehmens wird ein
Interface mit Gleisbildern verwendet, bei denen die Topographie gespiegelt ist. Die
Himmelsrichtung Osten liegt am linken Bildschirmrand und Westen entsprechend am rechten.
Die mentale Umstellung gelang nach Auskunft der Betriebsleiter nach einigen Tagen bis
Wochen.
Fehler im Prozess der Produktgestaltung
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Anpassungsfähigkeit und Flexibilität des arbeitenden Menschen erschweren eine Einhaltung
ergonomischer Richtlinien und deren scharfe Abgrenzung gegenüber unvertretbarer
Gestaltung.
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In Risikobeurteilungen während der Planung wird die Leistungsmöglichkeit des Menschen
als kompensierend eingesetzt, um Änderungen oder Aufwendungen einzusparen.
Weniger Fehler mit Aufgaben- und Wissensanalysen
Grundsätzliche Probleme aus den Fallbeispielen
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Der Umgang mit dem Phänomen der „zulässigen Unkenntnis“ erfordert in Neuplanungen oder
Gestaltungsprojekten besondere Beachtung. Prozess-/Tätigkeitsanalysen können aufgrund
der Kompliziertheit und Komplexität der Systeme nur ausschnittsweise und vereinfacht
(z.B. Black-Box, Grey-Box-Analysen) ausgeführt werden. Die Analyse- und Wissensbereiche
von Mensch-Maschine-Systemen lassen sich kaum umfassend darstellen. Modelle hierfür
sind zwangsläufig vereinfachend und können den Bereich „zulässige Unkenntnis“
unbedeutend erscheinen lassen.
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Dokumentiertes Ergonomiewissen kann übersehen werden.
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Ungenügende Methoden der Aufgaben- und Wissensanalysen können zu Lösungen führen, bei
denen der eingeschränkte Nutzen vorerst unbeachtet bleibt.
Strategien für weniger Fehler
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Strukturen der technischen Systembestandteile(technische Prozesse, Betriebszustände,
Maschinenfunktionen, etc.) und der Aufträge, Aufgaben, Handlungen und Tätigkeiten des
Menschen sind ein kategorisches Gerüst. Damit können Analyse-Ergebnisse konstruktiv
hinterfragt werden, um rechtzeitig zusätzliche Untersuchungen anzugehen.
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Erhebliche methodische Verbesserungen können in der Verbindung zwischen Anwendung und
Gestaltung durch Kommunikation und Kooperation anhand von Visualisierung, Protoyping
oder Usability-Untersuchungen erzielt werden.
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Methodisches Problem- oder System-Verständnis bietet, da - vor Beginn einer
Entwicklung/Gestaltung - die Möglichkeit von Innovationen.
Wissenstransfer durch Hochschulkooperationen
Was der Partner Hochschule leisten kann
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Hochschulpartner können Simulatoren und mobile Testaufbauten gestalten, die
Untersuchungen beim Benutzer vor Ort oder während Tagungen/Schulungen der Benutzer
ermöglichen. Die Ergebnisse können dann als Benchmark für weitere Tests im
Hochschul-Labor mit einer hohen Anzahl von Probanden (Studierenden) dienen.
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Der Hochschulpartner kann für neue Produkte anwendungsbezogene Tests und
Labor-Messmethoden entwickeln, die z.B. Einschränkungen durch stereoskopische Anzeigen
(wie das sog. Cross-Talking der Stereokanäle) quantifizierbar machen und bei der
Technik-Auswahl/-Bewertung helfen.
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An einer Hochschule können die Möglichkeiten einer Triangulation von Methoden
(z.B. durch Kombination von Layout-Berechnungen, CAD, und Funktionsmodellen)
versatiler betrieben werden als in den Strukturen einer Entwicklungsabteilung des
Industriepartners. Zudem bestehen in den gestalterischen Disziplinen an Hochschulen
sehr fortschrittliche Techniken der computergestützten Visualisierung und eine hohe
Qualität zeichnerischer Darstellungen allgemein.
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